von Juli Zeh
erschienen am 22.03.2021
im Luchterhand Literaturverlag
der Penguin Random House Verlagsgruppe
als Hardcover
416 Seiten
22,00 €
auch erschienen als E-Book
Vielen Dank an den Verlag und das Bloggerportal für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars
Dora ist mit ihrer kleinen Hündin aufs Land gezogen. Sie brauchte dringend einen Tapetenwechsel, mehr Freiheit, Raum zum Atmen. Aber ganz so idyllisch wie gedacht ist Bracken, das kleine Dorf im brandenburgischen Nirgendwo, nicht. In Doras Haus gibt es noch keine Möbel, der Garten gleicht einer Wildnis, und die Busverbindung in die Kreisstadt ist ein Witz. Vor allem aber verbirgt sich hinter der hohen Gartenmauer ein Nachbar, der mit kahlrasiertem Kopf und rechten Sprüchen sämtlichen Vorurteilen zu entsprechen scheint. Geflohen vor dem Lockdown in der Großstadt muss Dora sich fragen, was sie in dieser anarchischen Leere sucht: Abstand von Robert, ihrem Freund, der ihr in seinem verbissenen Klimaaktivismus immer fremder wird? Zuflucht wegen der inneren Unruhe, die sie nachts nicht mehr schlafen lässt? Antwort auf die Frage, wann die Welt eigentlich so durcheinandergeraten ist? Während Dora noch versucht, die eigenen Gedanken und Dämonen in Schach zu halten, geschehen in ihrer unmittelbaren Nähe Dinge, mit denen sie nicht rechnen konnte. Ihr zeigen sich Menschen, die in kein Raster passen, ihre Vorstellungen und ihr bisheriges Leben aufs Massivste herausfordern und sie etwas erfahren lassen, von dem sie niemals gedacht hätte, dass sie es sucht.Juli Zehs neuer Roman erzählt von unserer unmittelbaren Gegenwart, von unseren Befangenheiten, Schwächen und Ängsten, und er erzählt von unseren Stärken, die zum Vorschein kommen, wenn wir uns trauen, Menschen zu sein.
Als ich mich Juli Zehs "Über Menschen" zum ersten mal aktiv widmete, stand der Roman schon längere Zeit ganz oben in den Bestseller Listen. Ich gestehe, dass ich zwar von Juli Zeh schon gehört hatte, aber noch nie etwas gelesen. Als ich mir dann den Inhalt doch noch mal etwas genauer anschaute, wurde ich doch neugierig. Erster Roman, der die Corona Pandemie zeitlich und thematisch beinhaltet, auch die "Flucht" aufs Land, sprach mich an. Somit bewarb ich mich um ein Rezensionsexemplar und bin sehr froh, meinen ersten Juli Zeh Roman gelesen zu haben.
Da ich mich eher selten an Gesellschaftsromane traue und mich meistens an leichte Unterhaltungsromane oder Krimis, sowie Kinder- und Jugendliteratur halte, war ich doch sehr überrascht, wie leicht und flüssig der Roman geschrieben ist. Ich hatte unberechtigte Zweifel, ob ich wohl rasch genug in die Geschichte rein finden würde. Vom ersten Kapitel an war ich jedoch vom Schreibstil und vom Aufbau der Handlung, sowie der Zeichnung der Hauptfiguren überzeugt. Die Sprache ist sehr bildlich und man bekommt einen hervorragenden Eindruck von den jeweiligen Schauplätzen und Situationen. Die Kapitel sind angenehm kurz und mit einer passenden Überschrift betitelt.
Dora als Protagonistin hat mich von Beginn an gehabt. Ich habe mich in so vielen Situationen einfach wiedergefunden. Sie stellt so viele Fragen, die einen zum Grübeln bringen. So oft wie ich mich mit ihr identifizieren konnte, so oft habe ich mich aber auch gefragt, ob ich ebenso gehandelt hätte. Ihre leicht widerspenstige Art mochte ich von Beginn an. In Juli Zehs Roman geht es jedoch nicht alleine um Dora, sondern vor allem handelt es "Über Menschen".
"Wer sind die Guten und wer die Bösen? Dora weiß es nicht und will es auch nicht wissen. Sie findet, dass das eine sehr gefährliche Frage ist." Seite 28
Thematisch werden einige aktuelle Themen behandelt. Corona; die Zeit nach dem ersten Lockdown wird hier beschrieben und von Dora analysiert. Mich haben die Gedanken Doras an diese Phase sehr amüsiert und richtig gut unterhalten. Gleichermaßen erschreckt(e) und verwundert(e) mich jedoch auch das Verhalten vieler Menschen. Trotzdem kann ich mich auch da in Dora wiederfinden und nachvollziehen, dass man eigentlich gar nicht so genau weiß, in welche Schublade man genau gehört. Und genau dies ist auch eine wichtige Aussage des gesamten Buches. Es gibt nicht immer nur schwarz oder weiß, es gibt so viele Grautöne dazwischen.
"Lockdown, Shutdown, flattening the curve. Mortalität, Morbidität, Triage. Die Panik stieg, als wären Krankheit und Tod neu erfunden worden." Seite 25
Ein weiteres und auch umstrittenes Thema ist die Beziehung Doras zu ihrem Nachbarn Gote, dem Dorf-Nazi. Es wurde und wird heiß diskutiert, ob man einen Roman so schreiben, bzw. dieses Thema und diese Figur als Nazi in solch einer Form darstellen sollte. Meine Meinung dazu ist nicht so kritisch. Ich finde Doras Einstellung zu diesem Thema wird sehr deutlich und ist durchweg weiterhin sehr kritisch und skeptisch ihm gegenüber. Zunächst versucht sie auch den Kontakt so gering wie möglich zu halten. Gote ist aber eben auch nicht "nur Nazi". Er ist Nachbar, Vater, Schreiner, Ex-Mann, Freund, Gärtner, Patient und trägt ebenso wie jeder Mensch viele Facetten in sich.
"Man kann Informationen drehen und wenden. Die Wahrheit bleibt dieselbe. Die Wahrheit lautet, dass es völlig egal ist, ob Dora geht oder bleibt. Weil Nazis nicht aufhören zu existieren, nur weil man nicht mehr neben ihnen wohnt." Seite 235
Auch der Klimawandel, bzw. Klimaaktivisten oder warum in Doras neue Heimat so viele die AfD wählen sind gesellschaftliche und aktuelle Themen die aufgegriffen werden.
Sprachlich und auch inhaltlich hat mich "Über Menschen" von der ersten Seite an überzeugt und macht Lust auf weitere Romane der Autorin.