Sonntag, 2. Oktober 2022

Lügen über meine Mutter

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"Lügen über meine Mutter"
von Daniela Dröscher 

erschienen im 
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH & Co. KG
am 18.08.2022

als Harcover 
448 Seiten
ISBN: 978-3-462-00199-0
24,00 €

und
Ebook | Hörbuch

(Stand: 02.10.2022)

Vielen Dank an Netgalley.de und den Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars.

Zum Inhalt (Quelle: Verlag):

Daniela Dröscher erzählt vom Aufwachsen in einer Familie, in der ein Thema alles beherrscht: das Körpergewicht der Mutter. Ist diese schöne, eigenwillige, unberechenbare Frau zu dick? Muss sie dringend abnehmen? Ja, das muss sie. Entscheidet ihr Ehemann. Und die Mutter ist dem ausgesetzt, Tag für Tag.
»Lügen über meine Mutter« ist zweierlei zugleich: die Erzählung einer Kindheit im Hunsrück der 1980er, die immer stärker beherrscht wird von der fixen Idee des Vaters, das Übergewicht seiner Frau wäre verantwortlich für alles, was ihm versagt bleibt: die Beförderung, der soziale Aufstieg, die Anerkennung in der Dorfgemeinschaft. Und es ist eine Befragung des Geschehens aus der heutigen Perspektive: Was ist damals wirklich passiert? Was wurde verheimlicht, worüber wurde gelogen? Und was sagt uns das alles über den größeren Zusammenhang: die Gesellschaft, die ständig auf uns einwirkt, ob wir wollen oder nicht?
Schonungslos und eindrücklich lässt Daniela Dröscher ihr kindliches Alter Ego die Jahre, in denen sich dieses  »Kammerspiel namens Familie« abspielte, noch einmal durchleben. Ihr gelingt ein ebenso berührender wie kluger Roman über subtile Gewalt, aber auch über Verantwortung und Fürsorge. Vor allem aber ist dies ein tragik-komisches Buch über eine starke Frau, die nicht aufhört, für die Selbstbestimmung über ihr Leben zu kämpfen. 
Meine Meinung:
(Achtung, kann Spoiler enthalten)
Deutscher Buchpreis 2022. "Lügen über meine Mutter" steht aktuell bereits auf der Short List für den deutschen Buchpreis 2022. Ich habe mir die nominierten Bücher der Longlist angeschaut und inhaltlich fand ich den Roman von Daniela Dröscher am ansprechendsten. Selbst ein Kind der 80er, lese ich gerne auch Bücher, welche in diese Zeitspanne fallen. Zudem spielte auch das Thema "Übergewicht" in meiner Kindheit eine Rolle, glücklicherweise nicht in einer solch erschreckenden und unangemessenen Ausprägung, wie im Roman beschrieben.
Kommen wir zur eigentlichen Rezension des Romans, welche zu verfassen, mir relativ schwer fällt.

Das Cover gefällt mir ganz gut, ist aber nicht so aussagekräftig und originell. Eher unspektakulär. 
Das Thema des Romans hat mich angesprochen, die Umsetzung jedoch hat mir leider nicht so gut gefallen. Dies hat verschiedene Gründe. 

Der Aufbau hat mir noch recht gut gefallen. Neben den Kapiteln, in denen wir aus Elas Sichtweise die familiären Probleme und ihre und die Geschichte ihrer Mutter erzählt bekommen, wurden auch nach fast jedem dieser Kapitel noch Gedanken und Ergänzungen von Ela als Erwachsene Person eingefügt. Der Schreibstil war unkompliziert, fast umgangssprachlich und auch mit Textstellen in Dialekt wurde nicht gegeizt. Viele Anspielungen auf die Kultur der 80er Jahre werden vor allem den jüngeren Lesern nichts sagen. Da ich selbst in dieser Zeit aufgewachsen bin, konnte ich mich doch auch in viele Situationen hineinversetzen und auch mit den für diese Zeit typischen kulturellen Dingen innerhalb des Romans zumindest etwas anfangen.

Die Autorin konnte mich mit der Erzählung zu Beginn doch recht gut in den Bann ziehen. Dies nahm leider mit jedem weiteren Kapitel immer mehr ab. Die düstere Grundstimmung und mein Unverständnis für viele der beschriebenen Handlungen bauten in mir eine Art Abneigung auf. In der Hoffnung auf eine positive Wendung blieb ich jedoch dran. Spannung ergab sich für mich lediglich daraus, zu erfahren, ob Elas Mutter den Absprung aus der patriarchalisch geführten und von Lügen überlagerten Ehe schafft. Die Gelegenheit wurde "verpasst" und das Ende lässt mich unzufrieden zurück. Für mich hat die Erzählung leider nicht wirklich eine positive Aussage. Mit dem tyrannischen Ehemann zusammen zu bleiben, bis die Kinder aus dem Haus sind, ist für mich nicht "die Lösung".  

Die Hauptfiguren konnte ich mir gut vorstellen, vor allem Ela, da aus ihrer Sichtweise geschrieben wurde. Da ihre Eltern lediglich aus ihrer kindlichen Version beschrieben werden, bleiben hier doch auch einige Fragen offen und viele Handlungen sind nicht nachvollziehbar. Was mir nicht gefallen hat, war auch, wie sehr das Kind in dieser Ehe instrumentalisiert wurde. Wie Vaters Einstellung zum Gewicht der Mutter sich auch auf die Tochter projiziert. Wie auch Ela das Essverhalten ihrer Mutter anfängt zu hinterfragen und kritisieren. Welches Bild von einer "angemessenen" Körperstatur Ela bereits vermittelt wurde. 
Mir ist bewusst, dass diese Dinge passieren, auch in anderen Kontexten, aber für einen Roman war mir die Stimmung insgesamt zu negativ. Auch eine positive Wendung habe ich vermisst.
Zudem habe ich mich beim Lesen auch gefragt, ob die beschriebenen Gedanken von Ela tatsächlich altersgemäß sind. Ich persönlich kann mir nicht vorstellen, dass ich selbst teilweise so gedacht hätte oder viele andere Kinder in diesem Alter so weitgreifende Beobachtungen und Deutungen von Verhaltensweisen vornehmen.
Für mich war der Roman leider insgesamt mit zu vielen (selbst-)zerstörerischen und wiederkehrend abschreckenden Ereignissen durchzogen.

Wen eine negative Stimmung in der für die 80er Jahre nicht unvorstellbaren Geschichte nicht abschreckt; wer Eintauchen will in die patriarchalische Familiengeschichte im ländlichen Umfeld, der kann mit diesem Roman glücklich werden. 


Cover und Illustration              
2,5 / 5
Story  
4 / 5
Aufbau und Schreibstil 
4 / 5
Spannung und Lesefluss
2 / 5
Hauptfigur /-en
2 / 5
Emotionen  und Stimmung
1 / 5